Montag, 3. Juni 2013

Tag 20 | Die nackte Oma

Damit mir heute niemand mein Rad wegschnappt, bin ich schon 10 Minuten vor 7 Uhr vor der Altis Arena. Offensichtlich ist die erste Partie schon ganz wild auf die Folterkammer da sehr viele Leute schon hier sind. Eine alte Frau sitzt auf einem Stuhl und häkelt völlig entspannt wohl ihr 328stes Nachttischdeckerl. Andere rutschen schon ungeduldig auf ihrem Sessel hin und her und warten nur darauf, dass sich das Fenster öffnet um ihre Therapiekarte einwerfen zu können.
Eigentlich denke ich mir, dass das eine ziemlich simple und effiziente Art ist, um festzustellen, ob der Patient auch hier ist. Ohne alle zwei Minuten seinen Namen aufrufen zu müssen. Ich hab den Gedanken noch nicht fertig gedacht da wird das Fenster aufgeschoben und alle stürmen dahin. Auch die Dame im Rollator vor mir nimmt eine beängstigende Fahrt auf. Von etwas weiter weg betrachtet, sieht die Meute aus als ob hier gratis Stützstrümpfe verteilt werden. Dabei ist es völlig egal wer hier zuerst seine Karte einwirft da eh alle Therapien Zeit- und Patientengebunden sind. Schließlich darf auch ich meine Karte einwerfen.

Ich werde aufgerufen und darf mich auf mein mir zugewiesenes Rad setzen. Nach 2-3 Minuten beginnt mein rechter Oberschenkel wieder zu ziehen. Eigentlich ist es nicht der Oberschenkel sondern mehr nur der Muskel im Gelenksbereich. Ich steige runter und melde meinen Schmerz. Mir wird gesagt dass ich damit zu meiner Heiltherapeutin gehen soll. Die soll sich das mal ansehen. Gut denke ich mir, bin in zwei Stunden sowieso bei Silke. Bis dahin soll ich es doch wenn möglich auf einem normalen Rad, ohne Rückenstütze, probieren. Siehe da, hier hält der Muskel und gibt bis zum Schluss eine Ruh'.

Während dem Frühstück erfahre ich, dass sich der Heinzi und sein Zimmerkollege seit Samstag in Quarantäne befinden. Stimmt, ich hab den Heinzi seit Freitag Mittag nicht mehr gesehen. Was aber nicht weiter verwunderlich ist, denn für gewöhnlich fahren die Patienten, die es nicht so weit nach Hause haben ab Freitag Nachmittag immer wieder gerne zur Familie. Angeblich klagen beide über Übelkeit, Erbrechen und Dünnschiss. Da beiß ich doch gleich genüsslich in mein Honigsemmerl.

Nach dem Ultraschall gehe ich zum letzten Mal zur Heilgymnastik mit Silke. Sie gibt mir noch ein paar Übungen zu machen während sie mir einen Plan für zuhause den ich unbedingt weiter machen soll erstellt. Wir quatschen noch ein wenig bevor wir uns endgültig von einander verabschieden. Ich bedanke mich für die tolle Zeit und auch dafür, dass sie meinen Rücken wieder etwas flotter bekommen hat.
Und nein, ich habe nicht vergessen wegen meinem Oberschenkel zu fragen. Silke sagt, was auch ich mir schon gedacht habe, dass die Fahrräder mit einer Rückenlehne auf Dauer nicht gut sind. Der Muskel und das Gelenk sind so eine Haltung zum strampeln nicht gewohnt. Da kann es schon mal passieren, dass es Probleme gibt. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Rad'ln muss ich hier eh nicht mehr.

Der Vormittag wird mit einer Massage abgerundet. Heute mal zur Abwechslung mit einem Herren. Der recht sympathische Endvierziger begrüßt mich und bittet mich auch gleich sich auf das Bett zu legen. Irgendetwas ist an dem Masseur anders. Sekunden später merke ich es, dass der Herr wohl entweder blind oder eine starke Sehschwäche hat. Er tastet sich an meinen Körper heran und greift nach meinen Händen um sie seitlich zu legen. Um es gleich vorweg zu nehmen - das war die beste Massage in den letzten drei Wochen! Er hat genau die Punkte erwischt die verspannt sind und erst locker gelassen wenn er den Muskel weich geknetet hat. Teilweise zu meinem Leidwesen. Als er im Halsbereich die seitlichen Muskelstränge in Angriff genommen hat, muss wohl ein kleiner Wimmerlaut von mir erklungen sein. Humor scheint er auch zu besitzen, da er mir sagt das ich schon deutlicher reden müsse. Er höre heute etwas schlecht.

Nach dem Mittagessen geht es ab zur letzten Planschbecken-Einheit. Die Unterwassergymnastik hat mir in den letzten Tagen auch sehr geholfen den Rücken wieder zu stabilisieren. Die Melly (Therapeutin) hat hier echt gute Arbeit gemacht und mich immer wieder dazu getrieben, den viel zitierten Schweinehund zu überwinden. Danke dafür.

Zurück am Zimmer schau ich noch einmal auf meinen Plan und sehe, dass ich um 14:30 Uhr die Rückenschule habe. Somit habe ich eine ungewöhnlich lange Pause zwischen zwei Einheiten. Was soll's denk ich mir, wird schon so stimmen.

Ich beginne meine Eindrücke vom Tag bisher Memomäßig einzuklopfen, damit ich dann am Abend nicht ein paar Sachen vergesse die sich vielleicht Tagsüber zugetragen haben. Apropos vergessen: es kurz vor 14:30 Uhr und ich begebe mich auf den Weg zur Rückenschule. Mich beschleicht aber noch immer ein komisches Gefühl und ich werfe noch einmal einen Blick auf meinen Therapieplan. Wie heißt es so schön - wer lesen kann ist klar im Vorteil.
Ich habe den Plan von letzten Montag gelesen und hätte schon um 13:30 Uhr in der Rückenschule sein sollen. Und in wenigen Minuten erwarten mich die Mädls für ein Hydroelektrisches Vollbad. Verdammt, voll eine Einheit ausgelassen! Ich laufe (naja, ich gehe schneller) zur Therapieleitstelle um meinen Fehler zu melden und vielleicht noch eine Einheit danach machen zu können. Immerhin habe ich morgen meinen letzten Tag und all zu viel Zeit für eine Extraeinheit habe ich dann auch nicht. Aber ich muss wohl bis morgen Früh warten, denn die Leitstelle ist nur bis 14 Uhr besetzt. Fuck!

Ich hoffe, dass es da morgen zu keinen Problemen kommt, sonst kann das schon ein wenig unangenehm werden. Am letzten Tag brauch ich echt keine Action mehr.

Mehr oder weniger entspannt nehme ich, wie schon vorhin erwähnt, mein Hydroelektrisches Vollbad und versuche die Welt rund um mich zu vergessen. Lichttherapie, Sprühregen und basslastige, chillige Musik sollen mir dabei helfen. Bis zu dem Zeitpunkt als eine nackte Oma vor mir steht. Bevor noch jemand zu schreien beginnen kann, höre ich schon die Therapeutin rufen: „Nit do eini, Frau Kretsch! Verschreckens ma den jungen Maun nit. Sie sand in dem Zimmer neben aun!“ Plötzlich schießt mir Al Bundy ins Gedächtnis, was er seiner Frau sagte nachdem er ein ähnliches Erlebnis hatte „Pegg, sie hatte keine Knie!“ ...

Fürs Kopfkino übernehme ich jetzt keine Verantwortung. Das Bild geht wohl auch nie wieder aus meinem Kopf raus.

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